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Gehörlosigkeit im Arbeitsalltag: Eine Chance für alle

Hallo Uwe, hallo Timo, vielen Dank, dass ich euch interviewen darf. Muss ich etwas beachten?

Timo: Ich freue mich auf das Interview. Mir würde es helfen, wenn du die Kamera anstellst und langsam sprichst.

Alles klar, ich gebe mein Bestes. Was genau macht ihr beide bei AKQUINET?

Uwe: Ich bin seit 2007 bei AKQUINET und ich habe am Standort Itzehoe den Bereich der Druck- und Kuvertiersysteme übernommen. Das mag vielleicht pauschal klingen, aber wir sprechen hier über Produktionsdruck mit einem Volumen von 12 Millionen Seiten im Jahr. Von Versicherungspolicen unseres größten Kunden – die Itzehoer Versicherung – , über Rechnungen, Mahnungen und vieles mehr. Seit über 13 Jahren arbeite ich schon im Output Management.

Timo: Auch ich habe 2007 gestartet und arbeite seitdem in unserem Kuvertierbereich mit Uwe als Leiter unseres kleinen, aber wichtigen dreiköpfigen Teams. Insgesamt sind wir acht Leute an unserem Standort in Itzehoe.

Wie ist es, einen gehörlosen Mitarbeiter im Team zu haben?

Uwe: Zugegeben, am Anfang habe ich schon geschluckt. „Jetzt soll ein Gehörloser mit uns arbeiten? Wie soll das funktionieren?“ Aber Timo hat mich ganz schnell vom Gegenteil überzeugt und die letzten 13 Jahre haben mich absolut bereichert. Timo ist immer freundlich und zuverlässig. Inzwischen vergesse ich häufig, dass Timo eine Behinderung hat. Und man sagt ja immer so schnell das Wort „Behinderung“, aber welche Herausforderungen wirklich im Alltag warten, das habe ich erst durch Timo gelernt. Schnell telefonisch etwas klären, das kann Timo nicht. Wir unterstützen uns gegenseitig. Inzwischen ist es aber schon einfacher für uns alle geworden.

Was meinst du damit, dass es einfacher geworden ist?

Timo: Uwe spricht von den Möglichkeiten der Digitalisierung in Hinblick auf Gehörlosigkeit. Ich kann mich noch erinnern, als ich mich 1999 für die Ausbildung als Bürokaufmann entschieden habe. Es war sehr schwierig, da es zu der Zeit keine E-Mails, Apps oder ähnliches gab, sondern der Großteil aus Telefonieren bestand. Ich war kurz davor mich deswegen anders zu entscheiden, aber meine Schwester hat gesagt, ich soll auf mein Bauchgefühl hören und das habe ich getan und heute bin sehr glücklich.

Was hilft dir in der Zusammenarbeit mit deinem Team?

Timo: Wir arbeiten schon wirklich lange zusammen, da fällt mir das Lippenlesen leicht. Außerdem helfen meine Hörgeräte. Längere Meetings sind aber schon anstrengend für mich. Da drehen sich meine Kollegen auch direkt zu mir. An neue Teammitglieder muss ich mich gewöhnen.

Wie läuft es im Moment bei euch während der Corana-Zeit?

Uwe: Als Teamleiter komme ich hin und wieder rein, aber ansonsten arbeite ich remote. Und das funktioniert 1A. Aber es geht nichts über den persönlichen Austausch.

Timo: Insgesamt läuft es sehr gut. Ich bin vor Ort – anders geht es nicht – und ich arbeite im versetzten Schichtsystem mit meiner Kollegin. Jeden Tag haben wir mit dem gesamten Team eine Telko. Natürlich mit Kamera an, damit ich von den Lippen lesen kann. Aber ich vermisse meine Kollegen, insbesondere beim täglichen gemeinsamen Frühstück.

Wie helfen dir die Hörgeräte?

Timo: Ich habe mich bewusst für Premium-Hörgeräte entschieden, weil ich damit digital besser hören und verstehen kann. Ich habe z. B. die Möglichkeit mein Handy über Bluetooth zu verbinden, sodass ich über mein Hörgerät telefonieren oder Musik hören kann. Leider sind diese Hörgeräte sehr teuer – da sprechen wir schon über eine hohe vierstellige Summe. Die normale Krankenkasse übernimmt die Kosten nur anteilig und keine Reparaturkosten, nur von den Basis-Hörgeräten. Doch die betriebliche Krankenzusatzversicherung der AKQUINET übernimmt die Kosten. Das ist sehr gut.

Uwe: Ich finde es wirklich erschreckend, dass Menschen mit einer Gehörlosigkeit so wenig Zuschüsse vom Staat bekommen. Sie erhalten lediglich Zuschüsse für die Basisgeräte mit Minimalkomfort. Neben den immensen Kosten für die Premium-Hörgeräte muss Timo auch laufend in Batterien investieren.

Warum kannst du so gut Lippenlesen?

Timo: Ich bin in der Hörenden-Welt großgeworden. Keiner in meiner Familie leidet unter Gehörlosigkeit und wenn ich etwas mitbekommen wollte, musste ich vom Mund ablesen. Und ich habe immer mit hörenden Kindern gespielt. Früher war das Spielen wichtiger als das Sprechen – das hat sich irgendwann gedreht. Durch die Logopädie habe ich auch selbst zu sprechen gelernt. Erst später lernte ich andere Gehörlose kennen und damit die Gebärdensprache.

Du sprichst von der Hörenden-Welt. Gibt es für dich zwei Welten?

Timo: Ja. Ihr lebt in der Hörenden-Welt und wir in der Gehörlosen-Welt. Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache und ich habe Menschen gefunden, die die gleichen Herausforderungen wie ich haben. Aber ich freue mich darüber, bei AKQUINET in der Hörenden-Welt zu arbeiten. Innerhalb der AKQUINET-Gruppe wäre es schön, wenn wir weitere Unterstützung aus der Gehörlosen-Welt bekommen.

Was wünscht du dir von der Hörenden-Welt?

Timo: Ich wünsche mir, dass die Hörenden jedem eine Chance geben, egal was für eine Behinderung die Leute haben. Ich habe das Gefühl, dass wir uns immer erst beweisen müssen und das finde ich schade. Man sollte auf die Leistung schauen und nicht auf die Behinderung. Und das beziehe ich auch auf die Firmen, die Menschen mit einer Gehörlosigkeit mehr Chancen geben sollten, einen Beruf zu erlernen.

Uwe: Da kann ich einhaken. Die Gehörlosen-Welt wird meiner Meinung nach völlig unterschätzt. Jeder von uns kann etwas nicht und jemand mit Gehörlosigkeit hat ansonsten die gleichen Fähigkeiten.

Ich weiß, dass ihr beide die Leidenschaft für den Laufsport teilt. Wie „läuft“ es zurzeit für euch?

Uwe: Ich bin leider zurzeit verletzt, was sehr schade ist, denn Laufen kann man im Moment ja sehr gut.

Timo: Laufen ist mein Leben und ich bin schon sehr betroffen, dass die ganzen Events nicht stattfinden, wie der Berliner Halbmarathon oder der Rennsteiglauf im Thüringer Wald. Beim New York Marathon bange ich noch, doch ehrlich gesagt bin ich in der aktuellen Lage für eine Absage der Veranstaltung und würde gerne diesen Traum 2021 erfüllen. Seit der Corona-Zeit sehe ich immer mehr Leute, die sich zum Laufen motivieren, das ist super.   

Am Standort Itzehoe sitzen nicht viele Kolleginnen und Kollegen. Wie würdet ihr eure Kultur beschreiben?

Timo: Ich schätze mein Team sehr. Wir frühstücken normalerweise jeden Tag alle gemeinsam in Itzehoe, schon seit Anfang an. Es ist ein bisschen wie eine Familie, die sich unterstützt – ob beruflich oder privat.

Uwe: Die Zusammenarbeit ist wirklich großartig. Wenn jemand Fehler macht, dann bügeln wir die zusammen aus. AKQUINET hat sich natürlich in den letzten 13 Jahren verändert. Von unter 100 Menschen zu über 800. Doch ich fühle mich immer geachtet und wertgeschätzt. Und alle AKQUINET Kolleginnen und Kollegen, die unseren Standort noch nicht kennen, laden wir herzlich ein, uns zu besuchen.

Möchtet ihr noch etwas sagen?

Timo in Gebärdensprache: Stay at home!

Im Gespräch mit Timo über seine Gehörlosigkeit wurde deutlich, dass die Digitalisierung von Behörden nicht nur in Hinblick auf Effizienz sinnvoll ist, sondern auch für die Minimierung von Barrieren. Unsere Kollegen Malte und Claas sind im Bereich der Digitalisierung von Behörden tätig. Erfahre hier mehr darüber:

Mehr über unser Engagement für berufliche Inklusion erfährst du hier: https://karriere.akquinet.de/inklusion.html

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